Designer im Portrait: Eileen Gray - DESIGNBLOG (2024)

Das Oeuvre Eileen Grays ist untrennbar mit dem Haus E-1027 verbunden. Es finden sich bei genauerem Hinsehen gleich eine ganze Reihe von Parallelen zwischen dem Leben der Designerin und Architektin und ihrer heute bekanntesten Kreation. Heute gilt die irisch-schottische Formgeberin als Pionierin der Moderne, breite Anerkennung jedoch bekam Eileen Gray erst im Alter von 94 Jahren zu spüren. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man sich Werk und Werdegang anschaut. Und zugleich nicht überraschend, insbesondere in Hinblick auf die Zeit.

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Die Architektin und Designerin Eileen Gray gilt heute als eine der Meister:innen der Moderne. Auf die gebührende Anerkennung musste sie viele Jahrzehnte warten.

Tochter aus Gutem Haus mit ungeheuerlichen Ambitionen

Eileen Gray wurde als Kathleen Eileen Moray 1878 in eine aristokratische irische Familie hineingeboren. Sie wuchs im Südosten der Insel auf. Als Eileen 15 Jahre alt war, erbte ihre Mutter über einen verstorbenen schottischen Onkel den Adelstitel einer Baroness und lief fortan unterm dem Titel Baroness Gray. Von da an hießen Eileen und ihr vier Geschwister „die Grays“.

Von der Ödnis der Kunstschule in die schillernde Welt der Lackmöbel

Eileen Gray stammte aus einer privilegierten Adelsfamilie und so war es möglich, dass sie 1898 als eine der ersten Frauen an der Londoner Slade Academy studierte. Ihr Vater war selbst Landschaftsmaler und so erschien der Familie die Kunst eine durchaus plausible Karriereoption zu sein. Noch während des Studiums fuhr sie das erste Mal nach Paris, in die Stadt, in der sie den Großteil ihres langen Lebens verbringen würde. Das Studium hingegen brachte sie nie zu ende. Stattdessen entdecke sie um die Zeit Asiatische Lackarbeiten für sich, ein Handwerk, dass im aufkommenden Art Deco seine Hochzeit erleben würde. Möbel und Objekte, die auf dekorative Weise mit hochglänzendem Lack geschmückt waren, erregten ihr Interesse und geboten ihr Eintritt in die Welt des Designs.

Nach Paris kam sie zum studieren. Sie blieb, weil sie sich hier in der Gestaltung der mit dem Art Deco populär werdenden Lackmöbeln ausleben kann. Diese halfen Eileen Gray auch zu ihren ersten Aufträgen als Inneneinrichterin. Bild via www.classicon.com © Elias Hassos

Eileen Gray in Paris

1902 zog Eileen Gray nach Paris. Auch hier begann sie ein Zeichenstudium, diesmal an der Academie Julien, ebenfalls mit nur mäßigem Interesse. 1906 entschied sie entgültig, dass die Zeichenkunst sie nicht glücklich machen würde. Stattdessen vertiefte sie sich in die Arbeit mit Seizo Sugawara, einem Meister der japanischen Lackarbeit. Bei ihm ging sie in die Ausbildung und entwickelte bald darauf eine besondere Faszination für Negoro Lacke – ein elegant-minimalistischer Stil aus dem 12. Jahrhundert – und kombinierte diesen mit maki-e, einer Technik, bei der der Lack auf das Werkstück gespritzt wird und anschließend mit speziellem Pulver bestäubt, um die Motive zu kreieren.

Um das Ganze einmal in Relation zu setzen, sollten wir uns bewusst sein, in welcher Zeit wir und befinden. Eine Frau, die Anfang des 20. Jahrhunderts allein nach Paris geht, dort ihr Studium abbricht und ihren ganz eigenen kreativen Interessen folgt, ist außergewöhnlich. Dass sie sich dabei in einer von Männern dominierten Welt bewegt und scheinbar ohne große Widerstände vorankommt, ist absolut bemerkenswert. Unverheiratet, selbstbestimmt und mit viel Talent ausgestattet. Nicht zu vergessen aber auch ihr privilegierter familiärer Hintergrund. Ihre Zeitgenossin Charlotte Perriand hatte keinen finanziellen Rückhalt durch die Eltern und musste zeitlebens von ihrer eigenen Arbeit leben.

Eileen Gray hatte diesbezüglich einen großen Vorteil. Sie war frei denkend, freiheitsliebend, finanziell und professionell unabhängig. Den Respekt und die Würdigung ihrer Arbeit durch ihre Kollegen bedeutete das aber keinesfalls. Ganz im Gegenteil.

Von den Möbeln zu Architektur

In den frühen 1920er Jahren hatte Eileen Gray sich den Ruf als eine der besten Designerinnen für Lackmöbel in Paris erarbeitet. Der nächste logische Schritt für sie war die Eröffnung eines eigenen Ladens – die Galerie Jean Désert. Es war im Paris der 1920er Jahre nicht ungewöhnlich, ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Das Ungewöhnliche war, dass hier eine Frau das Sagen hatte. Das erklärt vielleicht auch, warum sie ihrem Laden den Namen Jean gab. Auf ihren Visitenkarten war zu lesen: „Jean Désert et E: Gray“, was sowohl ihre Geschlechtsidentität verbarg als auch ein Geheimnis um die Geschäftsführung machte.

Eileen Gray entwarf die Galerie Jean Désert gemeinsam mit dem Architekturkritiker und Herausgeber der Zeitschrift L’Architecture Vivante, Jean Badovici, mit dem sie bis 1931 eine Beziehung führte – sowohl romantischer als auch professioneller Natur. Badovici ist der Katalysator für die Wandlung Grays von einer Möbeldesignerin zur Architektin. Er war es, der sie ermutigte, sich mit über 40 Jahren der professionell der Architektur zu widmen. Ihre Vorherige Tätigkeit als Raumausstatterin und Designerin und Projekte wie das Appartement der Mme Mathieu Lèvy boten eine gute Voraussetzung dafür.

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Das Haus E-1027 war das erste Gebäude Eileen Grays, das realisiert wurde. Sie entwarf es für ihren Partner Jean Badovici und überließ es ihm nach der Trennung.

E 1027 – Das Haus an der Klippe

Das Ergebnis ihrer Architekturstudien ist die ikonische (ja, das Wort ist längst überstrapaziert, aber ihr Entwurf ist tatsächlich eine Pionierleistung der Moderne) Villa E-1027. Es ist Bau an der Küste Südfrankreichs, an einer Klippe in Roquebrune-Cap-Martin, dass sie 1929 fertigstellte. Da war sie 51. Der Name des Hauses ist ein Code für ihre und Badovicis Initialen: E steht für Eileen, es folgen die Nummern 10, 2 und 7, welche auf die Stelle im Alphabet der Buchstaben J, B und G verweisen. Badovici behauptete nach der Fertigstellung, er hätte gleichberechtigt als Architekt an der Gestaltung des Hauses mitgewirkt. Heute weiß man, dass er in erster Linie Auftraggeber war und Eileen Gray die Pläne entwarf.

Ein Haus der Moderne

Die Villa ist von außen betrachtet ganz klar ein modernistisches Gebäude. Es steht auf Betonpfeilern, die Fenster sind horizontal eingesetzt, es hat einen großzügigen Dachgarten und ist komplett weiß gestrichen. Es erfüllt die meisten der von Le Corbusier in seiner Schrift Vers Une Architecture von 1923 geforderten Kriterien. Innen aber setzte Eileen Gray, Beeinflusst von De Stijl und dem Bauhaus, andere Schwerpunkte.

Anstelle der vom Schweizer Architekten geforderten Offenheit gönnt sie den Bewohnern des Hauses Privatsphäre. Nicht alles im Inneren ist sofort ersichtlich, Räume können entdeckt werden. Um zum Schlafzimmer zu gelangen, muss ein paarmal um Ecken gegangen werden. Aufgrund der stark begrenzten Fläche ging Gray bei der Planung und Nutzung der Quadratmeter sehr sorgfältig um. Fast jeder Raum verfügt über fixe Einbauten, die diesen multifunktional werden lassen. Schränke werden aufgeklappt zu Trennwänden, das Sofa wird zum Bett. Der Raum ist mit den Ansprüchen der Nutzer veränderbar – und nicht andersherum. Damit ist Eileen Gray anderen Designern und Architekten der Zeit um einiges voraus.

Die Stahlrohrmöbel, die wir heute gemeinhin mit Eileen Gray in Verbindung bringen, waren lange Zeit vergessen. Heute produziert in Deutschland ClassiCon ihre legendären Möbel. Bild via www.classicon.com © Elias Hassos

Bevor die irisch-schottische Gestalterin moderne Möbel aus Stahl und Leder entwarf, beschäftigte sie sich ausgiebig mit japanischer und ost-asiatischer Lacktechnik. Sie war die erste, die diese mit geometrischen Formen zusammenführte. Bild via www.classicon.com © Mark Seelen

Ihre neuen Möbel: Funktional und revolutionär

Anders als in anderen Häusern der Moderne kombinierte Gray im Haus E-1027 bewegliche mit fest installierten Wänden und führte Möbelstücke ein, die angepasst und verändert werden konnten. Der Nachttisch E 1027 lässt sich einfach in der Höhe verstellen und verschieben. Der Grund: Sie wollte, dass ihre Gäste Toast im Bett essen können, ohne sich Gedanken über Krümel auf den Laken machen zu müssen. Das Haus entwarf Eileen Gray für ihren Partner, den gleichnamige Bestelltisch für das Haus am Meer. Der E-1027 Adjustable Table ist heute ihr vielleicht bekanntestes Design.

Mit der Fertigstellung des Hauses aber, für das sie auch die komplette Inneneinrichtung designte, begannen sie und ihr revolutionäres Werk in Vergessenheit zu geraten. Nicht aber, ohne vorher noch für einen kleinen Architekturhistorischen Skandal zu sorgen, für den eine der Koryphäen der Moderne verantwortlich ist.

Der Neid des Le Corbusier?

Als die Beziehung zwischen Gray und Badovici endete, blieb er im Haus E-1027. Gelegentlich hat ihr sein Freund Le Cobusier besucht. Jener Le Corbusier, nach dessen Idealen auch das Exterieur der Villa entworfen war. Während dieser Besuche fühlte sich der gefeierte und viel bewunderte Architekt dazu bemüßigt, die weißen Wände des Hauses seines Gastgebers mit großen, bunten Wandmalereien zu verzieren. Das tat er mitunter nackt und fotografierte sich auch dabei.

Während sich sicher alle darauf einigen können, das Le Corbusier ein eher unangenehmer Gast gewesen sein muss, muss Eileen Gray diese Malereien als persönlichen Affront empfunden haben. Sie hatte vorher den ausdrücklichen Wunsch geäußert, dass die Wände des Hauses frei von jeglicher Dekoration bleiben sollen. Es ist möglich, dass Le Corbusier Grays Arbeit verunstaltete, um auf fragwürdige Weise seine Bewunderung auszudrücken. Wahrscheinlicher aber ist, dass Neid und Misogynie das Motiv für seine Bilder waren und er mit damit ihr Werk als Seins markieren wollte. Wie ein Hund, der mit Urin seine Duftmarke setzt.

Angeblich war er von diesem Haus wie besessen und versuchte sogar, das Anwesen zu kaufen, was ihm nicht gelang. Stattdessen kaufte er ein Grundstück ganz in der Nähe und baute ein das Cabanon de vacances.

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An der rechten Seite und auf der hinteren Wand rechts sind zwei der Wandmalereien Le Corbusiers im Haus E-1027 zu sehen. Bild via: http://www.clker.com/clipart-488965.html

Haus und Architektin geraten in Vergessenheit

So viel Arbeit und Gedanken Eileen Gray auch in das Haus gesteckt hatte, es brachte der Villa kein Glück. Im Zweiten Weltkrieg nutzten die deutschen Besatzer die Wände des Hauses für Zielübungen. 1965 wurde des leblose Körper Le Corbusier am Küstenabschnitt direkt unterhalb des Hauses angespült, nachdem dieser ertrunken war. Kurz darauf erklärte man das Haus und die Umgebung, aufgrund seiner internationalen Bedeutung, zur Site Moderne. Aber auch das hielt den Verfall nicht auf. Ein windiger Schweizer Arzt schmuggelte 1980 die Möbel aus dem Haus und ließ sie in Zürich versteigern, drei Tage bevor die Eigentümerin starb. Das musste Eileen Gray jedoch nicht mehr miterleben.

Den E-1027 Adjustable Table entwarf die Designerin mit einer ihrer vielen Schwestern im Hinterkopf – als Nachttisch, der auch zum Frühstückstisch im Bett taugt. Bild via www.classicon.com © Daniel Breidt

Späte Anerkennung mit 94

Beim Blick auf ihre modernen und zugleich zeitlosen, funktionalen Möbelentwürfe glaubt man kaum, dass diese bis 1968 in der Obskurität verschwunden waren. Erst ein Artikel des bekannten Architekturhistorikers Joseph Rykwert über Eileen Gray rief ihre bedeutende Arbeit zurück ins Design Gedächtnis. Im Alter von 94 Jahren bot der britische Designer und Möbelbauer Zeev Aram ihr an, ihre Möbelentwürfe zu produzieren und zu vertreiben. Auf seine Frage, was sie davon halte, soll sie geantwortet haben: „Meinen Sie denn, dass die dafür gut genug sind?“

Was viele nicht wissen: Gray entwarf die komplette Inneneinrichtung des Hauses E-1027. Auch die Textilien und Teppiche. Bild via www.classicon.com © Mark Seelen

Eileen Gray starb 1976 im Alter von 98 Jahren. Das irische Nationalmuseum in Dublin erwarb in den Frühen 2000er Jahren ihr Archiv und zeigt seitdem eine Dauerausstellung ihres Schaffens. 2009 wurde ihr original Dragon Sessel für 21,9 Millionen Euro in Paris auf einer Auktion versteigert und stellte damit einen neuen Rekord für den Preis für ein dekoratives Möbel des 20. Jahrhunderts auf.

Insgesamt hat Eileen Gray nur zwei Häuser entworfen, E-1027 und Tempe à Pailla in der Nähe von Menton. E-1027 ist ihr Meisterwerk. Nach langen Jahren des Verfalls wurde es auf Initiative des Conservatoire du Littoral mitsamt aller Möbel nach den Originalentwürfen restauriert. Wie es nach der Restauration im Haus E-1027 aussieht, zeigen diese Bilder im Wallpaper Magazin ganz gut.

Der Sessel Bibendum ist eines der ersten Möbel, dass in den 1970er Jahren in Serienproduktion ging – ca. 50 Jahre nach Entwurf. Bild via www.classicon.com © Daniel Breidt

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Author: Nathanael Baumbach

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